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In die Gegenwart

1991 wurde der Mittelstreifen des Friedhofs, der v.a. als Weg genutzt wurde und bis dahin im Besitz des Bischöflichen Priesterseminars war, durch einen Schenkungsvertrag der jüdischen Gemeinde übergeben. Dieser Mittelstreifen war vermutlich (Dokumente dazu sind nicht mehr erhalten) bei der Vergrößerung des Friedhofs 1886/7 ausgespart worden, damit die Ländereien der verschiedenen Geistlichen Stiftungen, die nördlich an den Friedhof angrenzten, zugänglich blieben. Nach dem Bau der Kaserne bestand dafür keine Notwendigkeit mehr. Konnte man in den 1950er Jahren noch kirchenrechtliche Einwände gegen eine Schenkung erheben, so war dies nach der Reform des Kirchenrechts 1983 nun ohne Bedenken möglich.

Wenige Jahre später (1994) konnte noch ein schmaler Streifen des westlich angrenzenden Kasernengeländes hinzuerworben werden. Im Kaufvertrag hält die Bundeswehrverwaltung fest, dass eine weitere Ausdehnung nach Westen nicht mehr möglich sei, solange das Gelände weiterhin militärisch oder zu anderen Verwaltungszwecken des Bundes genutzt werde.

Die Jüdische Gemeinde war jedoch inzwischen durch den Zuzug der sog. Kontingentflüchtlingen aus den Staaten der ehemaligen UdSSR um das Dreifache angewachsen, so dass weiterer Bedarf für Begräbnisplätze absehbar war. Im Jahre 2002 stellte die Stadt Münster der Jüdischen Gemeinde einen eigenen Begräbnisplatz im Bereich des städtischen Friedhofs ‚Hohe Ward‘ in Hiltrup zur Verfügung.

Der Friedhof an der Einsteinstraße kann seitdem nur noch von Gemeindemitgliedern, denen bereits früher eine Grabstätte zugesichert war, genutzt werden. Zur Sicherung noch unbelegter Flächen wurden 2015 noch einige Bohrproben durchgeführt, um solche Flächen ausweisen zu können.

Der Jüdische Friedhof an der Einsteinstraße wurde 1991 von der Städtischen Denkmalbehörde Münster in die Liste der Denkmäler aufgenommen. Zur Begründung heißt es u.a.: „(...) Eine besondere Bedeutung gewinnt der Friedhof als Begräbnisstätte der durch Jahrhunderte verfolgten jüdischen Gemeinde Münster. Er hat die Wirren der Zeit, so auch die Verfolgung und Vernichtung zur Zeit der Nationalsozialisten, überdauert. Insgesamt erlangt der Friedhof eine außerordentliche Bedeutung, da er als einziger im Stadtgebiet von Münster ein nahezu lückenloses Zeugnis des beginnenden 19. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit hinein abgibt.“

Bestattet wird in Münster auf die traditionelle Weise: der Leichnam wird von den Mitgliedern der Chewra Kaddischa (=ehrenamtliche Vereinigung von Männern bzw. Frauen der Gemeinde zur Vorbereitung und Durchführung der Beerdigung) gewaschen, in ein Leintuch gehüllt und in den Sarg gelegt. Auf dem Friedhof findet ein Gebet in der Trauerhalle statt, und von dort geht man zum ausgehobenen Grab, wo noch einmal gebetet wird. Alle Teilnehmenden beteiligen sich, soweit sie können, daran den Sarg mit Erde zu bedecken. Ein schlichtes Holzschild mit dem Namen des/der Verstorbenen markiert die Stelle. Während die Gräber in den Jahrzehnten bis 1990 in der Regel ohne Blumenschmuck blieben, haben die aus Osteuropa zugezogenen Mitglieder der Gemeinde den Brauch mitgebracht, die Gräber auch mit Blumen zu schmücken.

Die Familie des/der Verstorbenen wird begleitet beim sog. „Schiwe-Sitzen“, einer Trauerzeit von sieben Tagen. Nach einem Jahr werden in der Synagoge die Gebete zur sog. „Jahrzeit“ gesprochen und auf dem Friedhof das Grab hergerichtet und der Grabstein gesetzt. Wer dem/der Toten einen ehrenden Besuch abstatten möchte, bringt oft kleine Steine mit, die zum Gedenken an den/die Toten auf den Grabstein gelegt werden.

Die Grabinschriften bleiben in jüngerer und jüngster Zeit in der Regel kurz, weisen neben einer deutschsprachigen Widmung meist auch die hebräische Eingangsformel („Hier ruht“) und den Schlußsegen sowie den Davidsstern auf. Eine weitere Besonderheit aber tritt vereinzelt hinzu: die russische (oder ukrainische) Sprache mit ihren kyrillischen Schriftzeichen. Darin wird sichtbar, dass die Mitglieder der gegenwärtigen jüdischen Gemeinde, die zu mehr als 90 % aus den Ländern der ehemaligen UdSSR stammen, sich der großen Herausforderung zu stellen haben, ihre Verwurzelung in der osteuropäischen Kultur, ihre Herkunft aus dem Judentum und ihr Leben in Deutschland miteinander in Beziehung zu setzen.

Literatur:

Gisela Möllenhoff / Rita Schlautmann-Overmeyer, Art. „Münster“, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, Bd. 2, Münster 2008, S. 487–513, hier S. 509: die Autorinnen bieten einen knappen chronologischen Abriss des Erwerbs und der mehrfachen Erweiterungen des Friedhofsgeländes an der Einsteinstraße und eine generelle Einbettung der Grabsteine in die jüdische Bestattungskultur des 19. und beginnenden 20. Jh.s

Sharon Fehr (Hrsg.), Erinnerung und Neubeginn. Die jüdische Gemeinde Münster nach 1945. Ein Selbstporträt, Münster 2013, bes. S. 205–211 zu den jüdischen Friedhöfen Münsters (mittelalterlicher Friedhof, Friedhof Einsteinstraße, Begräbnisplatz unterhalb des christlichen Friedhofs Münster-Hiltrup seit 2002).

Ungedruckte Quellen

Schüler der Wilhelm-Emmanuel-von-Ketteler-Schule in Münster, Jüdischer Friedhof Münster, Einsteinstraße. Dokumentation, Gebundener Computerausdruck, 98 Seiten, Münster Juni 1996, enthält: Geschichte, Belegungsliste, Belegungsplan. - Nach einem Israelbesuch einer Gruppe von Lehrern der Wilhelm-Emmanuel-von-Ketteler-Schule in Münster entstand die Idee, den Jüdischen Friedhof in Münster (Einsteinstrasse) zu dokumentieren. Unter Leitung des Fachlehrers Dipl. Ing. Josef Anders haben die Schüler der Fachoberschule 12/B1 die Grabsteine vermessen sowie die Inschriften gelesen und mit einem Verzeichnis aus dem Jahr 1990 verglichen, das die Jüdische Kultusgemeinde Münster ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Im Sommer 1995 konnten sie eine Belegungsliste für insgesamt 386 Steine fertigstellen, in der zu jedem Stein folgende Angaben festgehalten wurden: Name, Vorname, Geburtsdatum, Sterbedatum. Die Liste ist zunächst topographisch geordnet (nach den Nummern der Grabsteine – zwei Serien, für die linke bzw. rechte Friedhofshälfte), wurde jedoch durch einen alphabetisch nach den Familiennamen sortierten Index ergänzt. Diese Dokumentation liegt (in wenigen Exemplaren) als Computerausdruck vor, der zu einem Buch (im Format A4) gebunden wurde. Seit 2012 ist im Zentralarchiv zur Erforschung der Juden in Deutschland, Heidelberg, ein Exemplar vorhanden. Im Zuge der Erstellung der website zum Friedhof 2012–15 am Seminar für Exegese des Alten Testaments an der WWU Münster wurde diese Dokumentation ergänzt und korrigiert.

(zusammengestellt von Marie-Theres Wacker)