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Friedhofshalle

Errichtet 1928

Im Süden, am Ende des Mittelgangs, befindet sich die Trauerhalle. Sie ist etwa zehn Meter breit und fünf Meter tief; auf der rechten Seite ist noch ein kleiner Geräteschuppen angebaut. Erbaut wurde sie 1928 nach Plänen des Münsteraner Architekten Peter Wilhelm Strupp. Diese Zuschreibung stützt sich nach Information des Kunsthistorikers Christoph Hüsing auf die mündliche Aussage des Sohnes. „‚Die schriftliche Quellenlage hingegen,‘ erläutert der Kunsthistoriker, ‚sieht schlecht aus.‘ Durch die Teilzerstörung des Hochbauamtes im zweiten Weltkrieg sind viele Unterlagen aus den 20er Jahren zerstört worden.“ (Münstersche Zeitung, 16.07.1997)

Foto: Gesamtansicht der Friedhofshalle © Seminar für Exegese des Alten Testaments, WWU Münster

Wilhelm Peter Strupp (* 24.04.1891– † 12.06.1992)

Eine Festschrift des Fachbereichs Architektur der Fachhochschule Münster zum hundertsten Geburtstag des Architekten bietet biographische Angaben über den Architekten. Wilhelm Peter Strupp wird am 24. April 1891 in Mainz geboren. Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Mainz erfolgt eine Ausbildung zum Kunsttischler. In den Jahren 1909-1912 studiert Strupp dann an der Kunstgewerbeschule in München Innenarchitektur. Nach Militärdienst und Teilnahme am Frankreich-Feldzug wird er 1919 Innenarchitekt bei der Firma Rincklake van Endert in Münster. 1925 wird er Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Münster, wo er bis auf eine Unterbrechung während der Kriegszeit bis zur Emeritierung 1958 tätig ist. In den Jahren 1926-1932 hat er zusammen mit dem Architekten Franz Mönig ein gemeinsames Architekturbüro. In diese Zeit fallen u.a. die Gebäude Zepplinstr. 6, am Krug 25/27 und Münzstr. 9 in Münster. 1992 stirbt Peter Wilhelm Strupp im Alter von 101 Jahren.

Ein Zeitungsartikel bezeichnet Strupp als „Architekten, der der Moderne so aufgeschlossen wie nur wenige andere Kollegen gegenüberstand. Gleich mehrere Gebäude in Münster gehen auf seine Entwürfe zurück, die Anleihen bei Neuer Sachlichkeit, Expressionismus und Art déco erkennen lassen“ (Westfälische Nachrichten, 11.04.2009).

Das Gebäude

Diese genannten Elemente zeigen sich unterschiedlich stark auch in der Architektur und der Innenausstattung der Friedhofshalle.

Der verputzte Quader trägt ein flaches Walmdach. Hier zeigt sich eine funktionale Ästhetik, die auf jegliche Ornamentik außer einer feinen Umrandung der Fenster- und Türöffnungen verzichtet. Die bunten Glasfenster links und rechts des Haupteinganges sind schmiedeeisern gefasst  und mit je einem Davidstern ausgeführt. Ein schmiedeeisernes Geländer in geometrischen Formen umgrenzt einen kleinen Platz vor dem Eingang, der von zwei quadratischen, sich nach unten verjüngenden Säulen flankiert wird. Im bereits genannten Zeitungsartikel wird der Kunsthistoriker Christoph Hüsing zitiert, der in den beiden Obelisken schon einen Verweis „auf den sakralen bzw. kultischen Charakter“ (Münstersche Zeitung 16.07.1997) des Baus  sieht. Möglicherweise sollen die Obelisken auch an die säulenähnlichen Gebilde namens Boas (בּוֹעַז) und Jachin (יָכִין) erinnern, die links und rechts am Eingang des salomonischen Tempels standen. In 1. Kön 7,15-22, 2. Chr 3,15-17 und in Jer 52,21 werden sie beschrieben.

Die Türen des Haupteingangs sind heute aus Holz gefertigt. Elfi Pracht-Jörns schreibt in ihrem Artikel zu Münster, dass auch die Türen in Schmiedeeisern ausgeführt sind. Das gilt auch für den bereits zitierten Artikel aus der Münsterschen Zeitung, in der die zweiflügeligen Eisentüren erwähnt werden. In den frühen 90er Jahren wurden diese Eisentüren durch Holztüren ersetzt.

Über dem Haupteingang findet sich in hebräischer, vokalisierter Schrift ein Zitat aus Hld 8,6:

עַזָּה כַמָּוֶת אַהֲבָה

Stark wie der Tod ist die Liebe.

Denkt man an die Bauzeit der Halle, so wird man vermuten können, dass die Auftraggeber aus der jüdischen Gemeinde diesen Spruch gewählt haben, um den verschiedenen religiösen Richtungen des damaligen Judentums entgegenzukommen: für die einen war es ein Wort aus der Heiligen Schrift, für die anderen ein Satz, der auch von Schiller oder Goethe stammen könnte und ihrer liberalen und betont bildungsbürgerlich-deutschen Ausrichtung entgegenkam.

Der Innenraum ist in einem kühlen Blau getüncht, der durch eine große, rundbogenförmige Nische in der Mitte und  zwei weitere etwas kleinere Nischen links und rechts der Mitte gegliedert werden. Diese sind in einem hellen Blau getüncht. In der Mitte der mittleren Nische findet sich in schwarzer Farbe ausgeführt ein Davidstern. Davor erhebt sich ein zweistufiges Podest, auf dem ein hölzernes Rednerpult steht. Dieses nimmt die sich nach unten verjüngende Form der Obelisken von außen wieder auf und ist mit einem goldenen Davidstern verziert.

Davor steht ein schmiedeeiserner Katafalk, der den Sarg einer oder eines  Verstorbenen während der Trauerzeremonie aufnimmt.

Jeweils drei hölzerne Sitzbänke sind links und rechts des erhöhten Podests angeordnet. Die weiß getünchte Decke wird durch die Balken des Daches unterbrochen. Mit den Farben Weiß und Blau werden die typischen Farben des Tallit, des jüdischen Gebetschals, aufgenommen. Diese Gestaltung steht damit zudem in einer langen Tradition blau getünchter Synagogen (z.B. Safed in Israel) und Sakralräume.

Die Historikerin Elfi Pracht-Jörns zitiert zitiert eine wohl aus den 1890er Jahren stammende Begräbnisordnung für Münster, in der das Procedere bei jüdischen Beerdigungen ausführlich beschrieben und geregelt wird und die eine Chewra Kadischa, eine Beerdigungskommission, für Münster belegt.

„Demnach wurde das Begräbniswesen von einer aus drei Mitgliedern und zwei Stellvertretern bestehenden Kommission geleitet, die sich aus je einem Mitglied des Gemeindevorstandes, des Repräsentantenkollegiums und des Vorstandes des Wohltätigkeitsvereins zusammensetzen und den Prinzipien der Rotation unterworfen sein sollte. Sterbefälle waren dem Vorsitzenden bzw. dem Stellvertreter der Beerdigungskommission sogleich anzuzeigen; diese setzten die Beerdigungszeit mit Rücksicht auf die Wünsche der Angehörigen und nach Vorschrift der gesetzlichen Bestimmungen fest. Die Kommission war verpflichtet, ein Verzeichnis derjenigen Mitglieder und ihrer Frauen zu führen, »welche aus religiösem Drange hülfreiche Hand bei Leichen freiwillig leisten wollen«. Andere Personen sollten diesen Pflichten gegen Bezahlung nachkommen. Sobald ein Sterbefall gemeldet wurde, hatte die Kommission den Israelitischen Frauenverein um Anfertigung der benötigten Leichenkleider zu bitten und diejenigen Personen in das Trauerhaus zu entsenden, die das Abheben und Reinigen der Leiche besorgten. Die Kommission hatte so schnell wie möglich den mit Schrauben verschließbaren Sarg, den städtischen Leichenwagen und das Grab zu bestellen sowie den Prediger der Gemeinde zu benachrichtigen. Wurde von den Hinterbliebenen eine Leichenwache gewünscht, so hatte die Kommission das zu organisieren. In diesem Fall sollte die Wache sich pünktlich zur gewünschten Zeit einstellen und in den angewiesenen Raum begeben; außer Licht und Heizung sei von den Hinterbliebenen nichts zu verlangen und der Kontakt der Wache mit der Familie sei möglichst zu vermeiden. Der Bote des Vereins hatte alle Mitglieder und die von den Hinterbliebenen angegebenen Personen von dem Todesfall zu benachrichtigen und die Zeit des Begräbnisses zu bestellen; es sollte ihm ein genaues, möglichst nach den Wohnungen der Einzuladenden geordnetes Verzeichnis übergeben werden. Der Sarg wurde von vier vor der Beerdigung dazu bestimmten, möglichst schwarz gekleideten Personen in den Leichenwagen gehoben; diese Personen trugen den Sarg auch zum Grabe und waren beim Versenken behilflich: »Strengste Pünktlichkeit und geräuschloses Wesen ist ihnen zur Pflicht gemacht.« Der Prediger der Gemeinde folgte dem Leichenwagen im Ornat; er hatte nach Wunsch eine Grabrede, in jedem Fall aber neben dem vorgeschriebenen hebräischen auch ein deutsches Gebet am Grabe vorzutragen. Es war Pflicht der Vereinsmitglieder, sich im dunklen Anzug und möglichst mit Zylinderhut am Leichenzug zu beteiligen und den Leidtragenden beim Minjan-Machen während der sieben Trauertage nach bekanntzugebender Zeit behilflich zu sein. Kinderleichen, die getragen wurden, waren von dem angemessen gekleideten Vereinsdiener nach den Wünschen der Angehörigen zu beerdigen. Zum Sammeln von Geldspenden war eine Büchse mit entsprechender hebräischer und deutscher Aufschrift an der Pforte des Friedhofs und im Flur des Trauerhauses aufgestellt. Der Ertrag der gesammelten Gelder wurde durch den Vereinsvorstand an Arme verteilt. Der Verein beglich zunächst sämtliche durch das Begräbnis verursachten Kosten, er stellte alle Auslagen in einer Rechnung zusammen und übergab diese nach kurzer Zeit den Hinterbliebenen, falls diese in der Lage waren, die Begräbniskosten zu tragen. Falls dies nicht der Fall war, übernahm der Verein die Auslagen auf seine Kasse.“ (Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe, S. 36-37 mit Verweis auf Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum«, Archiv, 1, 75A, Mu 2, Nr. 5137, Bl. 79 ff.)

Es ist zu vermuten, dass die Chewra Kadischa bis in die Zeit des dritten Reichs bestanden hat und dass das Procedere bei jüdischen Beerdigungen in beschriebener, vielleicht leicht modifizierter Weise beibehalten wurde. Weitere Forschungen über die Entwicklung sind noch ein Desiderat.

Replik des zweitältesten erhaltenen jüdischen Grabsteinfragments

Links vor dem Haupteingang der Halle findet sich eine Replik des zweitältesten jüdischen Grabsteins in Münster und Westfalen, der vom mittelalterlichen jüdischen Friedhof stammt.

Mehr über den mittelalterlichen jüdischen Friedhof, die erhaltenen Grabsteinfragmente und bis die heute bekannten Inschriften sind in einem historischen Abriss dargestellt.

Weiterlesen

Der Brunnen am Eingang

An dieser Stelle sei auch auf den Brunnen verwiesen, der sich gegenüber der Trauerhalle, am Eingang zum Friedhof befindet. Er wurde 2009 erbaut nach einem Entwurf von Sebastian Springer aus Telgte.

Literatur/Veröffentlichungen:

Bernhard Brilling, Der älteste mittelalterliche jüdische Grabstein Westfalens, in: Zeitschrift Westfalen 44 (1966), S. 212-217.

Bernhard Brilling / Helmut Richtering / Diethard Aschoff, Westfalia Iudaica. Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe, Bd. 1: 1005-1350, Münster 21992, hier S. 89 (erhaltener Grabstein von 1324).

Fachhochschule Münster – Fachbereich Architektur (Hrsg.): Wilhelm Peter Strupp. Architekt und Lehrer in Münster zu seinem hundertsten Geburtstag, Münster 1991. Ringbindung in der Bibliothek des Stadtarchiv Münster mit der Signatur 1 BIO 400-123.

Christoph Hüsing, Untersuchungen zu den Bauten des münsterschen Architekturbüros Mönig und Strupp, Münster 1996. Maschinengeschriebene Magisterarbeit im Stadtarchiv Münster mit der Signatur BU 7-0129. Der Autor untersucht die Bauten des des münsterschen Architekturbüros und verortetet die beiden Architekten im historischen Kontext. Eine Erwähnung zur Friedhofshalle findet sich hier leider nicht.

Martin Kalitschke, Vom Art déco bis zum Bauernhaus, in: Westfälische Nachrichten 11.04.2009.

Martin Kalitschke, Aufbruch in die Moderne, in: Westfälische Nachrichten 11.04.2009.

(Unbekannt) Leisten, Obelisken der Leichenhalle zeigen kultischen Charakter, in: Münstersche Zeitung 16.07.1997.

Gisela Möllenhoff / Rita Schlautmann-Overmeyer, Art. „Münster“, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, Bd. 2, Münster 2008, S. 487-513, hier S. 509.

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil IV: Regierungsbezirk Münster, Köln 2002, S. 35-38.

 

(zusammengestellt von Ludger Hiepel)